Interpretationen der QM
In der QM wird heute wieder viel über Interpretationen bzw. Deutungen derselben nachgedacht, z.T. sogar gestritten. Den Freiraum dafür bildet der Umstand, dass die QM selbst fast 90 Jahre nach ihrer Formulierung durch Heisenberg(1901-1976) und Schrödinger(1887-1961) philosophisch noch nicht abgeschlossen werden konnte. Galt doch früher die heute als „orthodox“ bezeichnete sog.“ Kopenhagener Interpretation“ der QM von Niels Bohr(1885-1962) als unumstößlich, so haben die nachfolgenden Physikergenerationen - besonders nach dem Tod der Gründerväter – sich ermutigt gefühlt, neu nachzudenken und eigene Interpretationen vorzustellen. Der historisch wohl berühmteste Ansatz stammt von David Bohm(1917-1992) - von dem sogar Albert Einstein(1879-1955) sehr angetan war – der sich aber- leider- nicht in der relativistischen Quantenfeldtheorie formulieren ließ, und daher heute kaum noch diskutiert wird. Ein Beispiel für eine moderne Interpretation findet sich in der November-Ausgabe 2013 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, „QBismus“ genannt, die die QM mit der Statistik von Thomas Bayes (1701-1761) verbindet und verspricht, dadurch rätselhafte Paradoxien der orthodoxen QM (z.B. „Schrödingers Katze“) aufzulösen. Zur Verdeutlichung: Eine QM- Überlagerung der Katze, wonach die Katze vor der Beobachtung in Ihrer total abgeschirmten Box tot und lebendig gleichzeitig sei, und erst nach der Beobachtung tot oder lebendig vorgefunden wird, wird durch die viel plausiblere Aussage ersetzt, die Katze sei immer in ihrer Box tot oder lebendig gewesen und die QM-Überlagerung beschreibt nur den Denk-zustand des Physikers. Neue Interpretationen der QM können nur dann ernst genommen werden, wenn aus den Berechnungen die gleichen Ergebnisse herauskommen, wie bei der orthodoxen Deutung, denn deren Übereinstimmung mit den Beobachtungen ist phänomenal; es sind die besten der gesamten Naturwissenschaft. Neue Sichtweisen, wie man das Geschehen auch verstehen könnte, sind der Lohn für neue Deutungen, wie das o.g. Beispiel ja auch zeigt. Viel Diskussionsstoff und Meinungsbildung sind da vorhanden. M.E. liegt sicher noch ein langer Weg vor uns, bis eine philosophisch allgemein befriedigende Deutung bzw. Interpretation der QM vorliegen wird.
Faktenaussagen der QM
Was die Überschrift dieses Textes zum Ausdruck bringen möchte, soll an einem einfachen Beispiel gezeigt werden. Der Schulleiter betritt überraschend die erste Klasse und sieht an der Tafel 2x2=5 stehen. „Welches Fach wird hier gerade unterrichtet?“ „Wir haben Rechenunterricht.“ „Und warum steht ein derartiger Unsinn an der Tafel?“ „Ich kann da auch nichts dafür“, entgegnet der Lehrer, „denn wir haben abgestimmt, und das an der Tafel stehende Ergebnis hatte die Mehrheit.“ Klare Faktenaussagen müssen erlernt und akzeptiert werden, da führt kein Weg dran vorbei; Meinung&Glaube spielen da keine Rolle. Ich schreibe das, weil sich in den letzten Jahren in der QM eine Faktenlage von größter Bedeutung herausgestellt hat, die keine Deutung bzw. Interpretation im oben geschilderten Sinn ist.
Es begann 1935, als Albert Einstein zusammen mit Podolski & Rosen sein berühmtes EPR-Paradoxon veröffentlichte. Einstein war, zusammen mit allen Kollegen der Meinung, dass wir ein objektiv-real-lokales Weltbild vor uns haben, das die Naturwissenschaft auch so zu beschreiben hat. Er formulierte die drei Kriterien für dieses Weltbild, die alle drei gleichzeitig erfüllt sein müssen:
- Die Eigenschaften physikalischer Objekte sind messbar und kommen ihnen unabhängig davon zu, ob sie tatsächlich beobachtet werden oder nicht (OBJEKTIVISMUS).
- Jedem Element der Realität muss in einer physikalischen Theorie ein Gegenstück entsprechen, wenn die Theorie vollständig sein soll (REALISMUS).
- Objekte, die sich nicht gegenseitig beeinflussen können, haben voneinander unabhängige Eigenschaften (LOKALITÄT).
Einstein konnte in einem Gedankenexperiment an zwei miteinander „verschränkten“ Teilchen (Elektronen, Photonen) zeigen, dass besonders die Lokalität verletzt ist. Die QM passe nicht in das gängige Weltbild und müsse folglich trotz ihrer unbestrittenen Erfolge „verbessert“ werden. Einstein forderte, dass „verborgene Parameter“ gesucht und gefunden werden müssen, mit deren Hilfe auch die Theorie der QM objektiv, real und lokal werden würde, so wie das alle anderen naturwissenschaftlichen Theorien auch sind.
Einschub: Verschränkung ist eine von Schrödinger auch im Jahr 1935 gefundene typische QM-Eigenschaft, bei der mehrere Teilchen über beliebig große Entfernungen „verbunden“ bleiben können, dabei ihre Eigen-Individualität verlieren und nur als überlagertes Wellenpaket in Form einer ausgedehnten großen Einheit in Erscheinung treten. Führt man eine Messung durch, so gewinnen alle Teilchen der Einheit instant ihre Eigenindividualität zurück; mehr noch, man kennt plötzlich Eigenschaften der anderen Teilchen, obwohl an denen gar keine Messungen durchgeführt worden sind. „Spukhafte Fernwirkung“ nannte Einstein spöttisch diesen Effekt, den er als absurd ablehnte. Einstein irrte. Heute ist diese Fernwirkung über zig Kilometer experimentell nachgewiesen, und Anton Zeilinger (geb.1945)aus Wien will versuchen, den Verschränkungs-Effekt von der Erde bis zur ISS zu demonstrieren. Einschub Ende.
Niels Bohr hat auf das EPR-Papier sehr schnell geantwortet, bei dem Einsteins Realitätsverständnis kritisiert wurde. Bohrs Reputation war in Q-Fragen derart groß, dass die Physiker ihm folgten, und EPR wurde so gut wie nicht mehr diskutiert. Außerdem bestand damals auch die Ansicht, dass Verschränkung nur eine mathematische „Marotte“ war, also nicht real. Einstein hatte aber, solange er lebte, das Gefühl, bezüglich EPR nie richtig verstanden worden zu sein.
Die Situation änderte sich schlagartig 1964, als der irische CERN-Physiker John Bell (1928-1990) den Versuch unternahm, endlich die gesuchten verborgenen Parameter für die QM zu finden. Ihm war klar, dass die Verschränkung keine mathematische Marotte war, sondern essentiell zur QM gehöre, so wie es Schrödinger auch sah. Zu seiner großen Überraschung entdeckte Bell, dass die QM niemals im Sinne Einsteins durch verborgene Parameter lokal gemacht werden kann. Bell formulierte in einer scharfen Überlegung Ungleichungen, die eine lokale Theorie erfüllen muss. Es ist sehr leicht zu zeigen, dass die QM die Bellschen Ungleichungen nicht erfüllt. Fazit: Die QM kann nicht lokal gemacht werden, und passe somit nicht ins objektive reale lokale Weltbild. Damit begann aber ein großes Dilemma. Ist das objektiv-real-lokale Weltbild weiterhin haltbar und die QM ist total falsch? Dann müsste man noch einmal ganz von vorne beginnen, was angesichts des Siegeszuges der QM schwer vorstellbar war. Oder ist das objektiv-real-lokale Weltbild nicht das Non plus Ultra und muss diesen Platz an die QM abtreten, was damals noch schwerer vorstellbar war. Dies ist eine philosophische Fragestellung, die nicht durch Nachdenken, sondern nur durch Experiment gelöst werden kann. Schon John Bell schlug solche EPR-Experimente vor, die aber erst Jahrzehnte später mit der erforderlichen Genauigkeit gemacht werden konnten: Von Alain Aspect 1981 und Wiederholungen mit variierenden Randbedingungen in den Folgejahren durch viele Laboratorien mit immer größerer Präzision bis zu Anton Zeilingers Ergebnissen heute. Die QM hat bei allen diesen EPR-Experimenten gesiegt. Im Jahr 2007 wurde von Zeilingers Team die Restunsicherheit dieser Aussage um 80 (in Worten Achtzig!) Größenordnungen kleiner als die Sicherheit abgeschätzt. Für mich bedeutet dies Faktensicherheit, die endgültigen Charakter hat.
Einschub: Die Frage ob das geozentrische, oder das heliozentrische Weltbild zutrifft, war von ähnlicher Natur, und wurde ja auch experimentell gelöst. Durch hinzufügen immer weiterer Epizykeln hätte auch das geozentrisch-ptolemäische Weltbild weiterentwickelt werden können, aber erst die Entdeckung der Fixstern-Parallaxe durch Bessel 1838 ließ die letzten Zweifler verstummen, 295 Jahre nach Kopernikus. Einschub Ende
Damit ist das objektiv-real-lokale Weltbild als oberste Leitidee im Popperschen Sinn falsifiziert, und durch das Weltbild der QM als oberste Leitidee verdrängt worden. Das muss man heute als Fakt hinnehmen, und daraus Konsequenzen ziehen. Anzunehmen, es handle sich um eine Deutung der QM ist nicht richtig.
Der Q-Wissenschaftler Bernhard d´ Espagnat (geb.1921) formuliert denn auch
„Jeder, der sich eine Vorstellung von der Welt zu machen sucht - und von der Stellung des Menschen in der Welt -, muss die Errungenschaften und die Problematik der Quantentheorie einbeziehen. Mehr noch, er muss sie in den Mittelpunkt seines Fragens stellen."
Das Weltbild der QM und Folgerungen
Die Folgen für unser Weltbild können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die QM lehrt, dass alle realen Dinge einschließlich uns selbst, sowie Raum&Zeit ursächlich dem geistigen Bereich entstammen. So hat H. P. Dürr (geb.1929), der Nachfolger auf dem Heisenberg-Lehrstuhl in München, treffend formuliert: „Materie ist nichts als geronnener Geist.“ Dieser allumfassende geistige Bereich wird heute als QM-Potentialität bezeichnet. Es ist der epistemologische Teil der Wirklichkeit, während der ontologische Teil der Wirklichkeit unsere faktisch existierende Realität ist, objektiv u. lokal. Die Potentialität ist ausschließlich mathematisch gegeben. Sie ist nicht materiell und trotzdem keine Fiktion. Sie ist wirklich, weil sie wirkt. Ihr Möglichkeitsspektrum ist unbegrenzt, sie ist immer die primäre Ursache für die Wirkungen in unserer Realität. Vorstellen kann man sich die Potentialität nicht, aber man kann mathematisch in sie eindringen, und zwar mit den Wellenfunktionen der Schrödinger-Gleichung, oder mit den komplexen Hilbert-Operatoren Heisenbergs. Es ist leider schwierige Mathematik, die ein jahrelanges Studium voraussetzt. Verwertbare Ergebnisse kann man nur dann erreichen, wenn sich die komplexen Rechnungen zu Aussagen im reellen Zahlenraum reduzieren lassen. Die o.g. Verschränkungen der QM sind nur durch diese Mathematik beschreibbar, und werden „verständlich“. Wirkliches Verstehen ist dabei nicht gemeint, denn man kann sich, wie schon gesagt, die für den Menschen transzendente Potentialität nicht vorstellen. Analoges gilt für den Übergang von den kohärenten QM-Wellen der Potentialität in reale Materie, den man Dekohärenz nennt. Dekohärenz tritt ungewollt permanent ein, oder gewollt durch Messprozesse. Die QM lehrt, dass es eine allumfassende, „unendliche“ Potentialität gibt, aus der hier alles Sein hervorgeht. Dieses Weltbild hat für unsere Realität einen Zeitpfeil, ist nicht deterministisch und kann auch kausal nicht geschlossen sein, da die letzten Ursachen unseres Geschehens immer in der QM-Potentialität liegen, die ja nicht Teil unserer Realität ist. Es war für mich faszinierend zu lesen, wie Frau Prof. Dr. Brigitte Falkenburg ohne nennenswerte Rückgriffe in die QM, durch akribische analytische Kleinarbeit zu den gleichen Erkenntnissen bezüglich unserer Realität kommt.
Das neue Weltbild der QM strahlt natürlich in viele Bereiche hinein, es muss aber erst zu Allgemeingut werden. Dies ist noch lange nicht der Fall, da die QM-Erkenntnisse aus den EPR-Versuchen noch zu frisch sind, und der Mensch sich erfahrungsgemäß sehr träge verhält, wenn es sich um Änderungen seines Weltbildes handelt. Theologie, Biologie, Philosophie, Hirn- und Bewußtseinsforschung sind solche betroffene Bereiche, und mein persönlicher Glaube ist ebenfalls beeinflusst worden, wie ich es in früheren Beiträgen in meinem Weblog aufgezeigt habe. Angeregt, diesen Artikel zu schreiben, wurde ich durch den Besuch eines Workshops „Die sonderbare Welt der Quanten“ an der Ev. Akademie Bonn-Bad Godesberg Anfang Dez.20 13. Dort wurde von Prof. Dr. Jürgen Audretsch ein Gummimembran-Modell vorgestellt, das mich doch sehr stark an den “Heisenbergschen Schnitt“ meiner Studienzeit vor über 40 Jahren erinnerte. Unterhalb dieser Grenze gelten die Gesetze der QM und darüber gilt unser altes Weltbild. In der Q-Welt „brodelt“ es, die Membran ist „unruhig“, und diese Unruhe Spüren wir als Q-Einfluss in unserer Welt. So ein Bild ist sehr anschaulich und didaktisch leicht zu vermitteln, verfehlt aber den Kern der Botschaft der QM. Die auch anwesenden Wissenschaftler Prof. Dr. Lothar Schäfer, Dr. Peter Kleinert und Dr. Hans-Jürgen Fischbeck bekamen gegen Ende des Workshops Gelegenheit, in Statements die revolutionäre Kraft der QM darzulegen. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass viele Zuhörer, ich vermute, es handelte sich überwiegend um interessierte Laien, dem anschaulichen Membran-Modell den Vorzug gaben, zumal dieses Modell nicht zur Aufgabe des überkommenen Weltbildes zwingt. Aber die Natur ist kein Wunschkonzert, sie nötigt vielmehr dem Menschen Fakten auf, die akzeptiert werden müssen, auch wenn ein totales Umdenken notwendig ist. So beginnt Anton Zeilinger seinen Vortrag über „Die Schönheit der QM“ aus dem Jahr 2004 mit einem Zitat seines Freundes und auch Q-Wissenschaftlers Daniel Greenberger:
„ Einstein sagte ,die Welt kann doch nicht so verrückt sein, wie uns eben die QM dies erzählt , heute wissen wir, die Welt ist so verrückt.“
Dr. Georg Linke Aachen, im Dezember 2013
Weitere benutzte Literatur
Prof. Dr. Brigitte Falkenburg 2012: Mythos Determinismus ISBN 978-3-642-25097-2
Dr. Hans-Jürgen Fischbeck 2005: Die Wahrheit und das Leben ISBN 3-8316-0482-7
Dr. habil. Peter Kleinert 2013: Ist die Philosophische Theologie am Ende? ISBN 978-3-95538-006-9
Prof. Dr. Lothar Schäfer 2004: Versteckte Wirklichkeit ISBN 978-3-7776-1308-6
Prof. Dr. Lothar Schäfer 2013: INFINITE POTENTIAL ISBN 978-0-307-98595-8
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT DOSSIER 4/2010: QUANTENINFORMATION REALITÄT AUF DEM PRÜFSTAND (Bericht aus dem Labor von Prof. Dr. Anton Zeilinger, Wien)
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT 11/2013: H.C. v. BAEYER: EINE NEUE QUANTENTHEORIE (QBismus)
Prof. Dr. Anton Zeilinger: „ Die Schönheit der QM“ , Vortrag 2004 auf CD erhältlich.