Mit diesem letzten Post verabschiede ich mich mit meinem GenetHik-Blog von Ihnen. Der Abschluss dieses Blogs trifft allerdings zufällig mit einem Paukenschlag in der internationalen Forschung zum Genom-Editing zusammen.
Vor zwei Wochen hat CRISPR seine Unschuld verloren. Ein chinesischer Forscher namens He Jiankui hat anscheinend Embryonen genetisch modifiziert und mit ihnen eine künstliche Befruchtungen durchgeführt. Die Kinder scheinen wohlauf. Doch es drängt sich der Eindruck auf, dass ein chinesischer Wissenschaftler zwei Elternpaare und drei Kinder in einem waghalsigen Verfahren als Versuchskaninchen missbraucht hat, mit medizinischen Folgen, die im Augenblick noch nicht absehbar sind.
Neben zwei genmodifizierten Zwillingen, die inzwischen auf die Welt gekommen sind, heißt es, dass eine weitere Frau mit einem genmodifizierten Baby schwanger sei. Ziel der Behandlungen sei gewesen, dass die Kinder immun gegen HIV würden. Die Modifikation sollte eine Genvariante nachahmen, die bei manchen Menschen natürlich auftritt und sie gegen das HI-Virus wappnet. Der Vater ist mit HIV infiziert, nicht aber die Mutter. Somit bestand auch ohne den Eingriff praktisch kein Grund zur Befürchtung, dass sich die Kinder bei den Eltern infizieren würden.
He hat anscheinend aus Mitleid mit den zahlreichen HIV-infizierten Menschen gehandelt, doch es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Genmodifikation von Embryonen in zukünftigen Generationen eine größere, heilsame Wirkung entfalten wird. Stattdessen sollte man günstige AIDS-Medikamente weltweit leichter verfügbar machen und sich auf solche Forschungen konzentrieren, die mit einer Genmodifikation bei Kindern und Erwachsenen, also nach der Geburt, eine weitere Verbreitung des Virus vermeiden. Hes Vorhaben war jedenfalls medizinisch unnötig.
Das wesentliche ethische Problem bei Hes Versuchen ist aber, dass die Genmodifikation mit CRISPR noch nicht zuverlässig genug sein dürfte und es an den Embryonen durchaus zu weiteren ungeplanten Modifikationen gekommen sein könnte. Das Heranwachsen eines Kindes vom Embryo bis zur Geburt und darüber hinaus ist biologisch ein sehr komplizierter Prozess, bei dem auch nur kleine Störungen unvorhersehbare Konsequenzen haben können. Auch wenn die Kinder im Augenblick gesund sind, muss ihr Zustand über Jahre hin genau überwacht werden. Entsprechend sind die öffentlichen Reaktionen von Ethikern und Wissenschaftlern – mit einer bemerkenswerten Ausnahme – durchweg negativ.
Grund zu weiterer Kritik ist, dass das Verfahren möglicherweise nicht von einem Ethik-Komitee genehmigt wurde. Anscheinend hat He noch nicht einmal die Universität benachrichtigt, in deren Labor er arbeitet. Darüber hinaus ist nicht klar, ob die Eltern einschätzen konnten, worauf sie sich einließen. He versichert, sie seien sehr gebildet, doch die von ihnen unterschriebenen Einwilligungen machen laut einem Wissenschaftsjournalisten einen recht technischen Eindruck. Inzwischen ist eine weitere Person aufgetreten mit der Aussage, He habe ihn für dieses Unternehmen anwerben wollen, was er abgelehnt habe, doch von der eigentlichen Tragweite des Versuchs sei er nicht einmal informiert worden.
Konsens scheint im Augenblick, dass He die Eingriffe tatsächlich vorgenommen hat. Seine bisherigen Dokumentation des Prozesses ist allerdings sehr unsystematisch. Es hat den Anschein, dass die Genmodifikation jeweils bei beiden Kindern nur bei einem Teil der relevanten Zellen geklappt hat, unabhängig von der Frage, ob es auch zu unerwünschten Änderungen gekommen ist. Ob die Mädchen somit überhaupt gegen HIV immun sind, ist noch offen.
Wie systematisch hat He die modifizierten Embryonen vor der Implantation überhaupt untersucht? Wusste er, dass die Modifikation an den gewünschten Zellen vermutlich nicht durchweg geklappt hat? Wenn ja, weshalb hat er die Embryonen implantiert? Wenn nein, wie sorgfältig hat er geprüft? Das Auslesen des Genoms eines Menschen ist dank fortgeschrittener Technik zwar keine wissenschaftliche Sonderleistung mehr. Eine äußerst gründliche Untersuchung, die hier erforderlich wäre, ist aber nach wie vor sehr aufwändig und zeitraubend. Bislang verläuft die Auswertung von Genmodifikations-Versuchen dagegen so, dass eine Computersoftware mit einem Algorithmus errechnet, an welchen Stellen im Genom technische Schwierigkeiten am wahrscheinlichsten sind, so dass man dort Stichproben durchführt und einen Überblick gewinnt, ob die Genmodifikation im Großen und Ganzen erfolgreich war. Selbstverständlich wäre ein solches Verfahren beim menschlichen Embryo vollkommen inadäquat.
Besonders bedenklich ist auch, dass ein führender amerikanischer Genetiker, George Church, öffentlich abwiegelt. Neben herausragenden Forschungsleistungen ist er auch mit Schnaps-Ideen wie der Wiederbelebung des Wollmammuts und des Neandertalers per Genom-Editing an die Öffentlichkeit getreten. Nun ließ er verlauten, dass abgesehen von Formfehlern im Grunde alles in Ordnung sei, solange es den Kindern nur gut gehe. Dabei hat He den internationalen Konsensus missachtet, dass der Stand der Technik im Augenblick ein solches Unternehmen einfach noch nicht zulässt – wenn es überhaupt je moralisch zu rechtfertigen ist. Wie werden die Kinder außerdem damit umgehen, dass sie, mit Wissen der Eltern oder nicht, als Versuchskaninchen auf die Welt gekommen sind?
In der näheren Zukunft sind besonders zwei Entwicklungen zu beachten. Im Westen ist ein Manöver, wie He es durchgeführt hat, wesentlich schwerer denkbar. Es waren von Anfang an Chinesische Forscher, die Forschungen im Bereich Genom-Editing durchführten, die im Westen nicht konsensfähig gewesen wären. Nun fragt sich, wie die wissenschaftliche Gemeinschaft und die staatlichen Behörden reagieren werden – und falls sie keine Anstrengungen unternehmen, die Wiederholung dieses Falles zu vermeiden, ist die internationale Gemeinschaft gefragt, wie ernst sie die Verantwortung der Forschung nehmen möchte.
Forscher im Westen werden allerdings kaum durchgehend Zurückhaltung üben. Am Rande der Berichte um Hes Experimente sickerte durch, dass Forscher an der Harvard University Spermien genetisch modifizieren möchten. In den USA ist es ja illegal, genmodifizierte Embryonen für eine künstliche Befruchtung zu verwenden. Ob es legal ist, einen Embryo mit genmodifizierten Spermien herzustellen und dann eine Schwangerschaft einzuleiten, dürfte eine Grenzfrage sein; die Absicht wird längerfristig darin bestehen, das Verbot genmodifizierter Babies zu Fall zu bringen.
Es hat sich gezeigt, dass wir die notwendigen Debatten über die Legalität von genetische Eingriffen in menschliche Embryonen nicht der Wissenschaft und ihrer Fähigkeit zur Selbstregulierung überlassen können. Die Gesellschaft verdankt zwar viel den genialen Fähigkeiten hochbegabter Individuen, die die Forschung auf eigene Faust vorantreiben, doch gerade dieser einflussreiche Narrativ wird immer wieder zu Tabubrüchen führen. He etwa scheint besonders den Briten Robert Edwards zu bewundern, der die erste erfolgreiche künstliche Befruchtung (IVF) vorgenommen hat, und ein solches Pionier-Ideal scheint zumindest ein Faktor gewesen sein, der ihn antrieb. In dieser gesellschaftlichen Debatte sollte die Frage besonderen Raum einnehmen, was eine Genmodifikationen an Embryonen überhaupt leisten kann, das nicht durch andere, eher konsensfähige Mittel erreichbar ist – besonders die Prä-Implantationsdiagnostik (PID, bei der Eltern im Einzelfalle wählen können, Embryonen mit schwerwiegenden Krankheitsdispositionen von der künstlichen Befruchtung auszuschließen) sowie die genetische Modifikation reifer Zellen bei Kindern und Erwachsenen.
Kommentare (0) Keine Kommentare gefunden!