Nocebo: Wer’s glaubt wird krank. Gesund trotz Gentests, Beipackzetteln und Röntgenbildern von Magnus Heier
Rezension von Dr. Andreas Losch
Glaube kann Berge versetzen. Sagt die Bibel. Und sagt auch der Autor dieses Buches, denn um Glauben geht es in diesem Buch, allerdings um einen Glauben, der krank macht. Gemeint ist schlicht die Tatsache, dass der bekannte Placebo-Effekt, nachdem der Glaube an eine heilende Wirkung wirklich heilen kann, logischerweise einen Zwilling hat: den Nocebo-Effekt. Das bedeutet, dass schon die Erwartung einer Erkrankung das Immunsystem schwächt und wirklich krank machen kann. Manche kennen dieses Muster auch als sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Weil das so ist, droht Gefahr
– von Beipackzetteln, die endlose Nebenwirkungen auflisten (und diese auslösen können, wenn sie zu intensiv gelesen werden);
– von Gentests, die Wahrscheinlichkeiten für alle möglichen Krankheiten vorrechnen, an die man sonst keinen Gedanken verschwendet hätte;
– von den in Deutschland so beliebten Kernspintomografien und Röntgenbildern, die auch Probleme aufzeigen können, die man sonst gar nicht bekommen würde.
– und insbesondere von unachtsamen Ärzten, die mit einer Aussage wie "sie haben noch 3 Monate" den konsequenten Tod des Patienten herbeibeschwören können.
Glauben Sie nicht? Gut so – aber lesen sie trotzdem das Buch! Der Autor gibt in jedem der Kapitel Fallbeispiele, die seine Aussagen untermauern. So vergiftete sich der 26-jährige Derek Adams mit den übrigen 29 Tabletten einer Studie, an der er teilnahm, weil er von seiner Freundin verlassen wurde. Wie es im Beipackzettel angekündigt wurde, brach sein Kreislauf zusammen, er kam in eine Notfallambulanz, doch die Ärzte konnten nicht helfen – bis man herausfand, dass er nur Scheinpräparate ohne jeden Wirkstoff geschluckt hatte. „Der Glaube daran, sterben zu müssen, hätte ihn fast umgebracht.“ (S. 22)
Modernes Voodoo?
Im Grunde ist es die moderne Erklärung für die Wirkung von Hexerei und Flüchen: wer daran glaubt, ist möglicherweise wirklich betroffen. Und so vergleicht der Autor das Phänomen – vielleicht etwas popularistisch – auch mit modernem Voodoo (S. 59f).
Es geht beim Noceboeffekt aber nicht nur im Leben und Tod, sondern auch um alltägliches: die gefühlte Wirkung von Handystrahlung, eine um sich greifende „Laktoseintoleranz“, um chronischen Rückenschmerz oder um Burnout. Alle diese Dinge zeigen die mögliche Bedeutung des Glaubens an eine Erkrankung für deren Entstehung. Das ist insbesondere in Zeiten des Internets, in denen in unzähligen Foren vor den schlimmen Erkrankungen, die hinter unscheinbaren Symptomen lauern können, gewarnt wird, ein Risiko. Dabei stehen hinter vielen Internetseiten wirtschaftliche Interessen. Gut, dass der Autor daher auf seriöse Seiten hinweist.
Aufklärung bleibt wichtig
Aufklärung über Krankheitsrisiken bleibt wichtig, muss aber durch einen gezielt eingesetzten Placeboeffekt begleitet werden. „Sie sollten sich für die Patienten mehr als 7,8 Minuten Zeit nehmen, Vertrauen fördern, Ängste nehmen, Hoffnung geben. Sie sollten dem Noceboeffekt einen neutralisierenden Placeboeffekt entgegensetzen durch sprechende Medizin“. (Johann Caspar Rüegg, zitiert auf S. 142) Rüeggs Ansatz, dass unser Gehirn die Gesundheit grundlegend beeinflusst,ist auch für die hinter dem Noceboeffekt stehenden Wirkmechanismen gültig (vgl. Johann Caspar Rüegg, Mind & Body, Stuttgart 2011). Vielleicht wären ausführliche Gedanken des Autors zu diesem Gebiet daher sinnvoll gewesen.
Eigentlich schreibt man den Titel des Autors ja nicht aufs Cover. Aber wenn es um Kritik an ärztlichen Umgangsformen geht, ist es wohl wichtig, zu betonen, dass der Autor selber Arzt ist und man seinen Worten also Glauben schenkt. Was der Autor nicht schreibt: kann eine hohe Erwartung des Noceboeffekts diesen logischerweise nicht ebenso befördern? Auch die Aufklärung darüber ist wichtig und hoffentlich heilsam, aber gesünder wäre es vielleicht, noch mehr über den Placebo-Effekt als positives Gegenteil zu reden, als er es zum Glück schon tut. Es ist ein durchaus ernstes Thema, das der Autor behandelt, und weil das so ist, sind die gelungenen Comics von Touché in dem Buch umso passender; denn Lachen ist bekanntlich gesund.
Dr. Andreas Losch