Die Entstehung der Arten von Charles Darwin, hrsg. von Paul Wrede und Saskia Wrede
Rezension von Dr. Andreas Losch
Mit der samt Anhängen bald 600 großformatige DIN A4 Seiten starken illustrierten und kommentierten Neuausgabe von Charles Darwins Klassiker in der Übersetzung von J. Victor Carus, welche zudem noch auf einer Webseite durch weitere Biografien und Materialien ergänzt wird, verfolgen die Herausgeber u.a. das Ziel „sich mit fundiertem Wissen“ gegen die „rückständigen und überholten Vorstellungen“ der Kreationisten zu wappnen (S. XI), wobei sie allerdings über die Entstehung des Kreationismus als Phänomen der Moderne nicht gerade bestens informiert zu sein scheinen (S. XX).
So haben sie denn Ulrich Kutschera zu einem Geleitwort eingeladen, der dort seine atheistisch-antikirchlichen Überzeugungen zum Besten gibt und damit – natürlich ohne sich dessen bewusst zu sein – Öl in das kreationistische Feuer (bzw. in Deutschland wohl eher Flämmchen) gießt. So wird denn auch Darwin von ihm als „Atheist“ (wenn auch in Anführungszeichen) deklariert, ein wenig mehr Sachlichkeit hätte angesichts der Hitze des Gefechts hier sicher nicht geschadet. Die Einführung der Herausgeber kann sich allerdings immerhin mit dem Hinweis, der Kreationismus verkenne das Wesen der Religion, einem bekannten Zitat Plancks anschließen, das sich für eine gleichberechtigte Existenz von Religion und Naturwissenschaft einsetzt (S. XXIVf.).
Eine Folge dieser Motivationslage ist die von den Herausgebern vorgenommene Einfärbung von „Hinweisen auf die biblische Schöpfungsgeschichte“ in Darwins Werk in Rot. Diese eher seltenen (und leider nicht immer markierten) Stellen ergeben allerdings das deutliche Bild, dass manch kreationistische Annahme schlicht eine längst überholte „Forschungs“meinung darstellt, insbesondere natürlich die separate Erschaffung der Arten. Man darf nicht vergessen, viele der früheren Forscher waren Geistliche, als Angehörige dieses privilegierten Standes hatten sie allein die Zeit dazu, sich der Naturkunde zu widmen. Liest man Darwin so im Original, braucht man Dawkins Ausführungen eigentlich nicht mehr (dessen eigentliche Aufgabe auf seinem Lehrstuhl es ja war, die Erkenntnisse der Biologie zu popularisieren), um dem Kreationismus und Intelligent Design zu wehren, denn schon Darwin selbst weist auf die kumulative Wirkung der Selektion hin: „So wird auch die natürliche Selektion den Glauben an eine fortgesetzte Schöpfung neuer organischer Wesen oder an große und plötzliche Modifikationen ihrer Struktur verbannen.“ (S. 81)
Interessant auch, wie Darwin das Paradebeispiel der natürlichen Theologie umkehrt. Nach Paleys Natural Theology war ja die am Strand gefundene Taschenuhr aufgrund ihrer herausragenden Komplexität der Ausweis von göttlichem Design, und so auch die Komplexität des Auges. Darwin dagegen argumentiert: „Fast jeder Teil eines jeden organischen Wesens steht in einer so schönen Beziehung zu seinen komplizierten Lebensbedingungen, dass es ebenso unwahrscheinlich scheint, dass irgendein Teil auf einmal in seiner ganzen Vollkommenheit erschienen sei, wie dass ein Mensch irgendeine zusammengesetzte Maschine sogleich in vollkommenen Zustand erfunden habe.“ (S. 41) Will heißen: das Beispiel hinkt, auch eine Maschine wird ja schrittweise entwickelt. Es ist wunderbar zu lesen, wie sorgfältig Darwin später dann seine eigene Argumentation zur Entwicklung des Auges ausführt (S. 141ff.). Die revolutionäre Bedeutung seiner Ausführungen war ihm dabei wohl bewusst: „Als es zum ersten Male ausgesprochen wurde, dass die Sonne still stehe, und die Erde sich um ihre Achse drehe, erklärte der gemeine Menschenverstand diese Lehre für falsch; aber das alte Sprichwort ‚vox populi, vox dei‘ hat, wie jeder weiß, in der Wissenschaft keine Geltung.“ (S. 141)
Es kann nun hier nicht die Aufgabe des Rezensenten sein Darwins Entstehung der Arten von neuem zu besprechen. Wer möchte, kann sich jedoch mit Hilfe der Ausgabe einen leichten Zugang zu einem Klassiker verschaffen, in dem zudem darauf hingewiesen wird, wo die weitere Forschung Darwin korrigiert hat (wenn er z.B. in der Abstammung der Hunderassen sein eigentlich klares Prinzip der Abstammung von einer Urform – in diesem Fall dem Wolf – verlässt). Zahlreiche Abbildungen, Schaubilder und Kurzzusammenfassungen illustrieren die Darstellung und machen den Stoff sicher leichter lesbar.
Die Ausgabe stellt daneben eine sehr umfangreiche Materialsammlung dar. Neben der Entstehung der Arten kommen Wallaces gleichbedeutende Essays, wichtige Aufsätze zur weiteren Entwicklung der Biologie und biografische Anhänge zum Abdruck. Insbesondere die Übersetzungen der Wallace-Aufsätze sind zu begrüßen, wenn auch wohl nicht die ersten ihrer Art, wie der Klappentext suggeriert. Auch einige der Essays, vor allem der des Herausgebers Paul Wrede zu Gen- und Genomorganisation, erscheinen zentral und lesenswert. Etwas weniger Materialfülle hätte aber vielleicht nicht geschadet und vielmehr den Anreiz zum Lesen des Gesamtwerkes erhöht. Die farblichen Markierungen (rot für Bibelbezüge, blau für „wichtige Aussagen und Schlussfolgerungen“, grün für Bezüge zu den Galapagosinseln) irritieren m.E. eher als dass sie nützen. Es ist ein bisschen so als erwerbe man ein Buch, in dem die Anstreichungen schon gemacht worden sind. Nebenbei bemerkt: Ursprünglich griechische Begriffe werden - warum auch immer - stets auch in griechischer Schrift wiedergegeben, nur hat man beim Satz wohl die Verwendung des besonderen Schluss-Sigmas vergessen.
Wenn die Ausgabe aber auf ihre Weise zur Lektüre des Originalwerkes anregt, hat sie sich sicher gelohnt.
In der Tat: „Nichts in der Biologie macht einen Sinn, es sei denn, man betrachtet es im Lichte der Evolution“. Dieser Ausspruch stammt von Theodosius Dobzhansky, der die Frage der Religion allerdings nicht so einseitig beantwortet hätte, wie Kutschera, dessen Geleitwort für die positive Intention der Herausgeber leider eher ein Hindernis bleibt. Die Entstehung der Arten aber lohnt sich auf jeden Fall zu lesen, ob nun in dieser Edition oder einer anderen. Jedenfalls bekommt man mit dieser Ausgabe eine umfangreiche und illustrierte Materialsammlung zu einem fairen Preis und ist zudem mit den Hinweisen der Herausgeber und den angeschlossenen Aufsätzen auf dem aktuellen Stand der Forschung.
573 Seiten, Wiley-VCH 2012, ISBN 978-3527-332561, mit Registern, 49,90 €
Dr. Andreas Losch, Biarritz im August 2013