Klimawandel und die Liebe zur Schöpfung. Eine neutestamentliche Annäherung
Leitartikel von Hubert Meisinger
Tropische Nächte in Deutschland, schwere Waldbrände in Schweden, Australien und den USA, hochsommerliche Temperaturen nördlich des Polarkreises: der Klimawandel macht sich bemerkbar. Überall auf der Welt. Unübersehbar für alle, die die stetigen Veränderungen des Wetters in allen Regionen der Welt beobachten. Von einem „Vorboten“ des Klimawandels war zum Glück nicht mehr die Rede. Vielmehr von einer drohenden „Heißzeit“, wie es der Klimaforscher Schellnhuber mit Kolleginnen und Kollegen andeutete, weit weg von den normalen Schwankungen über die Jahrhunderttausende hinweg, in einer völlig anderen Senke zwischen „kalt“ und „heiß“ weit oberhalb dessen, was Menschen und Umwelt bisher als heiß erlebt hatten.
Die Forscher deuteten an, dass es durch entschlossene Maßnahmen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und bei jeder einzelnen noch möglich sei, diese „Heißzeit“ zu vermeiden und in eine Senke zwischen „kalt“ und „heiß“ zu gelangen, die lebensfreundlich ist und näher an der liegt, in der wir uns heute bewegen. In der Theologie spricht man von einem „Kairos“, in dem wir uns befinden: einer besonders herausgehobenen Zeit. Ein Kairos ist ein günstiger Zeitpunkt für Entscheidungen: pro Umwelt, pro Nachhaltigkeit, „pro“ Generationengerechtigkeit. „Pro“ interreligiösen Dialog. Und „contra“ Ausbeutung, „contra“ Wachstumsideologie, „contra“ Vereinsamung, „contra“ Entdemokratisierung.
Ich werde im Folgenden diesen Kairos unter drei Aspekten betrachten: Einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Mensch und Mitwelt, der Rolle des Nächstenliebegebotes im Kontext einer Schöpfungstheologie und der Rolle des Geistes bei einer Zukunftsgestaltung.
Meine erste These: Es bedarf einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Menschen und Mitwelt, um dem Klimawandel zu begegnen.
Der homo faber, der sich die Natur untertan machte, hat ausgedient – auch wenn es ihm und ihr noch längst nicht bewusst geworden ist, denn Abschied zu nehmen von alten Mustern fällt schwer. Der homo faber hat seine Umwelt nicht als Mitwelt wahrgenommen, sondern in ihr alleine ein Objekt, eine Ressource für sich gesehen. Raubbau an der Natur betrieben. Und das über Jahrhunderte hinweg. Zum Teil sogar das „Macht Euch die Erde untertan“ (1. Mose 1,28) als falsche Legitimation gewählt, steht es doch vielmehr für einen sorgsamen Umgang des Menschen als Statthalter Gottes mit der Natur als Schöpfung. „Jetzt schlägt die Natur zurück“ – werden manche denken. Genauso falsch. Denn im Verhältnis zwischen nichtmenschlicher und menschlicher Natur sind Metaphern des Kampfes oder Krieges unangebracht, wenn auch vielfach gebräuchlich. Manche sehen die Natur als Ort der Bewährung oder machen sie zum Schauplatz der Selbstinszenierung. Mir liegt hier der Begriff der Entfremdung näher: Menschen haben sich mit ihrer Kultur so weit von den ihnen zugrunde liegenden Lebensbedingungen entfremdet, dass sich eine tiefe Kluft dazwischen aufgetan hat. Der westliche Mensch hat sich als Dirigent des Orchesters der Natur, von der wir theologisch als Schöpfung sprechen, gesehen – ohne zu merken, dass ihm und ihr immer mehr Instrumente verlustig gehen, die Biodiversität bedrohlich abnimmt. Und damit wunderbare Stimmen in der Vielfalt der Natur, in der Vielfalt des Geschaffenen, nicht mehr zu hören sind. Dabei ist der Platz des Menschen gar nicht vor dem Orchester, sondern mitten in diesem Orchester. Auch der Mensch als Schöpfung Gottes spielt ein Instrument neben vielen anderen. Mal die Pauke, mal die Flöte. Mal in der ersten Reihe, mal in der zweiten. Vielleicht hat er auch manchmal eine Pause einzuhalten. Immer aber ist der Mensch mit einem besonderen Bewusstsein dafür begabt, diese Stellung verantwortlich wahrnehmen zu können – mit einem Blick über den Tellerrand hinaus in eine Wirklichkeit, die von Theolog*innen als Transzendenz des oder gerade umgekehrt auch als Essenz des Seins und Werdens dargestellt wird. Jenseits unseres Vorstellungsvermögens und doch mitten im Leben. Dieses Erkenntnis- oder Wahrnehmungsvermögen unterscheidet uns womöglich von all unserer Mitwelt, trennt uns aber nicht von ihr. Ein solches Selbstverständnis ginge dann über eine „Sorge für die Umwelt“ weit hinaus, der Begriff „Achtsamkeit“ gerät in den Blick: „Achtsam wahrnehmen“ wird zur Aufgabe für uns Menschen. Achtsam uns selbst wahrnehmen, achtsam unsere Mitmenschen wahrnehmen, achtsam unsere Mitgeschöpfe und unsere Mitwelt und deren Bedürfnisse wahrnehmen.
Dieses achtsame Wahrnehmen kann in den bekannten Kategorien des homo faber erfolgen – wie in dem Projekt ICARUS, das im August 2018 Schlagzeilen machte: Icarus ist eine internationale Kooperation zur Beobachtung von Tieren aus dem Weltraum (International Cooperation for Animal Research Using Space). Mit Icarus wollen Wissenschaftler mehr über das Leben der Tiere auf der Erde herausfinden: Auf welchen Routen sie wandern und unter welchen Bedingungen sie leben. Diese Erkenntnisse dienen der Verhaltensforschung, dem Artenschutz und der Erforschung der Ausbreitungswege von Infektionskrankheiten bis hin zur Vorhersage von ökologischen Veränderungen und Naturkatastrophen. "Mit Icarus wollen die Forscher globale Bewegungen und Wanderungen von tausenden Tieren in Echtzeit analysieren und so Daten über den Zustand der Erde gewinnen. (https://www.icarus.mpg.de/de."
Dieses achtsame Wahrnehmen kann allerdings auch in anderen Kategorien erfolgen, der des Staunens, der der Wiederentdeckung des Heiligen oder der der Dankbarkeit.
Ich möchte das mit einem Rückgriff auf den ersten Schöpfungsbericht in der Bibel (1. Mose 1,1-2,4a) deutlich machen. Dort heißt es in der uns bekannten Übersetzung am Ende des sechsten Schöpfungstages: „Und siehe, es war sehr gut.“ Klingt nach einer Zuschreibung an die Schöpfung, einer Wertung als einer sehr gut gelungenen Schöpfung. Mich fasziniert eine andere Interpretation dieser wenigen Worte durch den Alttestamentler Christoph Hardmeier und den Umweltethiker Konrad Ott. Bei deren Interpretation müssten die Worte als Appell folgendermaßen geschrieben werden: „Siehe!“ – „Sehr gut!“ Da ruft jemand zur achtsamen Betrachtung der Schöpfung auf: Siehe! Und Menschen aller Zeiten können zustimmend einstimmen: „Sehr gut!“. Es ist also nicht die sehr gut gelungene Schöpfung, von der an dieser Stelle die Rede ist, sondern es ergeht eine Aufforderung an alle, die diese Zeilen über die Jahrtausende hinweg lesen: „Schau Dir die Schöpfung an, nimm achtsam wahr, was Gott da geschaffen hat. Und stimme in den Chorgesang der Vielen mit ein, die darauf mit „Sehr gut!“ antworten, geantwortet haben und noch antworten werden.
Es mag ein Staunen über die Schöpfung sein, die zum Einstimmen motiviert. Allerdings bleibt das Staunen bei einer unpersönlichen Religiosität stehen. Es mag Stolz sein, der dazu motiviert. Allerdings verführt Stolz zu Überheblichkeit. Auf jeden Fall gilt: Die Umwelt zu schützen aus einer Haltung von Dankbarkeit und Demut heraus, das ist etwas ganz anderes als Handeln aus Stolz und Hochmut.
Was ist es für mich? Es ist eine Wiederentdeckung des Heiligen, wie es ähnlich auch der Soziologe und Sozialphilosoph Hans Joas (2017) schreibt. Aber es ist vor allem eine tiefe Dankbarkeit darüber, Teil des Wunders des Lebens insgesamt sein zu dürfen. In der Spannung stehen zu müssen zwischen Kleinheit und Hoheit, wie es so wundervoll in Psalm 8 insbesondere in den Versen 4f und 6 beschrieben ist: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Und direkt schließt sich an: „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“
Wir Menschen: klein im Vergleich zu den unendlichen Weiten des Weltalls, kleiner als Gott. Aber doch mit Ehre und Herrlichkeit bekrönt. Eine leuchtende, goldene Krone also? Das Neue Testament wird hier sehr deutlich: Es ist die „kontrafaktische“ Dornenkrone Jesu, die auch wir tragen und die uns daran erinnert, dass alles ganz anders sein könnte als es ist – oder auch überhaupt nicht. Denn die Weisheit der Welt wird mit dieser Krone hinterfragt, ja bis zu einem gewissen Grade sogar ad absurdum geführt: Weisheit, die alleine auf Zahlen beruht, ist keine Weisheit, sondern nacktes Wissen. Weisheit entsteht im Zusammenspiel von Wissen mit Achtsamkeit und Dankbarkeit.
Eine solche Weisheit ermöglicht ein erneuertes Schöpfungsvertrauen und kann uns einen anderen Umgang mit unserer Mitschöpfung lehren – die im Zusammenspiel mit den Weisheiten anderer Weltreligionen dazu beitragen kann, die „Senke“ vielleicht doch noch zu erreichen, von der die Wissenschaftler andeuten, sie könne lebensfreundlich genug für alles Geschaffene sein.
Meine zweite These: Das Nächstenliebegebot im Zweiten Testament kann uns einen Impuls zur Liebe der Schöpfung geben.
Welche Rolle kann die Nächstenliebe in einer Schöpfungstheologie in den Zeiten von Klimawandel und Verlust der Biodiversität spielen? Das ist die Grundfrage meiner zweiten These. Ich werde diese mit Hilfe der drei neutestamentlichen, synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas beantworten und dabei drei Gedanken entfalten.
Erster Gedanke: Für Klimaschutz einzustehen setzt voraus, in allen Menschen, ja in der gesamten Schöpfung unsere Nächsten zu sehen.
In den neutestamentlichen Evangelien wird die Frage „Wer ist mein Nächster?“ insbesondere im Lukas-Evangelium dargelegt, exemplarisch in der Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter, der die Perikope vom „Doppelgebot der Liebe“ voransteht (Lk 10,25-37). Wichtig für die Interpretation ist eine Umkehr in der Fragerichtung: Heißt es in V.29 noch „Wer ist mein Nächster?“, so lautet es in V.36: „Wer …. ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war?“ Hier wird deutlich, dass das Liebesgebot universal ausgeweitet werden soll und sich gerade nicht nur auf Menschen in Not beschränkt, sondern Menschen in Not diejenigen, die ihnen helfen, zum Nächsten machen – unabhängig von deren Herkunft, wie das Beispiel des Samariters zeigt. Deutlich macht Lukas diese Erweiterung auch im für sein Evangelium programmatischen Abschnitt Lk 4,16-30. Hier wendet sich Jesus helfend zwei Nicht-Juden zu, der Witwe von Sarepta und dem Syrer Naaman. Damit wird das Heil nicht von den Juden weggenommen, sondern es handelt sich um eine Erweiterung des Adressatenkreises göttlicher Gnade und Zuwendung.
Kein Mensch, ja nach älteren Schriften auch kein sonstiges Lebewesen (vgl. Testamente der 12 Patriarchen) und in jüngster Zeit auch kein Grashalm (Gregersen 2015) ist von diesem universal ausgeweiteten Liebesgebot ausgeschlossen. Wenn Menschen in fernen Regionen aufgrund des Klimawandels Not und Armut leiden, wenn Tiere aussterben, der Wald stirbt, leidet auch ein Teil von uns mit. Schritte vom Reden über diese Situation zum Handeln in dieser Situation sind notwendig, wie sie z.B. durch die Fridays for Future-Bewegung immer wieder neu angemahnt werden. Aber auch die Weltklimakonferenz von Paris oder die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen sind wichtige Schritte zum Handeln.
Zweiter Gedanke: Für Klimaschutz einzustehen setzt voraus, dass der Gedanke der Klimagerechtigkeit zum Prinzip allen Handelns und somit auch kirchlichen Handelns wird, präzisiert z.B. als Verteilungsgerechtigkeit.
In den neutestamentlichen Evangelien wird die Frage nach der „besseren Gerechtigkeit“ insbesondere im Matthäus-Evangelium gestellt (Mt 5,20) und exemplarisch in der Perikope vom „Doppelgebot der Liebe“ in Mt 22,34-40 beantwortet – dort wird das Liebesgebot zum Auslegungskriterium für Gesetz und Propheten. Die von Jesus geforderte bessere Gerechtigkeit wird dabei in dem programmatischen Abschnitt Mt 5,17-20 entfaltet – Matthäus, so kann gefolgert werden, fordert eine Gerechtigkeit, die am Liebesgebot orientiert ist.
Interessant ist die „Realitätsnähe“ von Matthäus: Der reiche Jüngling (Mt 19,16-22) soll eigentlich auf alle Güter verzichten. Er ist dazu aber nicht in der Lage, sondern „ging betrübt davon“. Und auch das matthäische Feindesliebegebot (Mt 5,43-48) erscheint als eine fast unmöglich zu erfüllende Forderung: Nächsten- und Feindesliebe sind bei Matthäus unter dem Vorzeichen einer Vollkommenheitsforderung und damit im Horizont der besseren Gerechtigkeit hohe Ideale, die umzusetzen nicht einfach sind. Diese Möglichkeit der faktischen Überforderung oder des Scheiterns steht bei Matthäus im Lichte der Vergebungsbitte des Vaterunsers (Mt 6,14f) und der Aussage, nicht nur siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal zu vergeben (Mt 18,21f). Vergebung erlässt jedoch nicht das liebende Handeln.
Klimagerechtigkeit kann aus der Perspektive des Matthäus-Evangeliums (siehe Perikope vom reichen Jüngling) und unter den Bedingungen heute z.B. als Verteilungsgerechtigkeit entfaltet werden. Dabei wird eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaft dezidierte Schritte weg vom bisherigen Ausrichten an einer Ideologie des unbegrenzten Wachstums und der Gewinnmaximierung einzelner Unternehmen gehen müssen. Eine „Ökonomie der Genügsamkeit“ orientiert sich am Gemeinwohl und müsste begleitet werden von einer Politik, deren Ziel die Steigerung eines alternativen Wohlfahrtsindikators wäre, wie er im Nationalen Wohlfahrtsindex schon vorliegt, den maßgeblich der Umweltbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg erarbeitet hat.
Der dritte Gedanke: Die Ausweitung unserer Liebe auf alle Menschen und Lebewesen dieser Erde, die besondere Parteinahme für die Armen sowie die Befähigung zu einer stärkeren Gerechtigkeit und zu einem solidarischen Teilen wird durch die Nähe zur Gottesherrschaft ermöglicht.
Insbesondere im Markus-Evangelium wird dieser Gedanke zentral entfaltet. Die Pointe der Perikope vom „Doppelgebot der Liebe“ in Markus 12,28-34 liegt in der Aussage Jesu: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“, die schon von Mk 1,14f her als zentrales Thema der Verkündigung Jesu zu gelten hat: „Die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen.“ Der radikalen Zuwendung des schon jetzt eschatologisch handelnden Gottes zum Menschen soll eine radikale Zuwendung des Menschen zum Menschen und zu Gott – und mit dem Lukas-Evangelium über das Markus-Evangelium hinausgehend – zur Mitwelt des Menschen entsprechen.
Die Gottesherrschaft ist dabei keine ferne Utopie, sondern eine konkrete Vision, die im tagtäglichen Leben umgesetzt werden kann. Dies zeigt z.B. Michael Kopatz (2018) mit seinem Ansatz der Ökoroutinen, in dem er den achtsamen Umgang mit Ressourcen zur Regel und nicht zum Besonderen unseres Handelns werden lässt.
Als „geschaffener Mit-Schöpfer“, so der amerikanische Theologe Philip Hefner (1993, 2003), sind wir prinzipiell in der Lage, die Entfremdung von den natürlichen Grundlagen unseres Daseins zu erkennen und zu überwinden. Unserer Verantwortung bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Uns gegen eine „Schöpfungsvergessenheit“ zu stemmen und ein Gespür für das rechte „Maß des Lebens“ wieder zu gewinnen, das unser Menschsein neu verortet im Konzert der Natur. Einer Natur, die wir theologisch aus ihrer Beziehung zu Gott heraus, dem „Grund und Abgrund des Seins“ (Paul Tillich) – oder vielleicht angemessener vor dem Hintergrund heutiger naturwissenschaftlicher Erkenntnisse: dem „Grund und Abgrund des dynamischen und kreativen Werdens“ – als ursprüngliche und fortwährende Schöpfung betrachten.
Konkret geht es darum, im Futur Zwei denken zu lernen: „Was wir in fünf oder zehn Jahren auf der Basis einer Ethik des Genug werden getan haben müssen, damit nachfolgende Generationen in zwanzig oder fünfzig Jahren immer noch ein gutes Leben haben werden.“ Generationengerechtigkeit entgrenzt die räumlich gedachte Erweiterung des Adressat*innenkreises der Liebe auch zeitlich. Und die Zeit drängt zunehmend mehr, das zeigen alle Berichte der zurückliegenden Jahre, wenn wir wenigstens die im ersten Abschnitt genannte neue Klima-Stabilität erreichen möchten, die ein gutes Leben für Alle ermöglicht.
Meine dritte, abschließende These: Gottes Geist ermöglicht Zukunft.
Ich schließe mit einem Zitat aus dem 2. Korintherbrief von Paulus: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Kor. 3,6):
Der tötende Buchstabe steht dafür, an einer veralteten Agenda der Lebensführung bis hin zur Politikgestaltung festzuhalten, die nicht fähig ist, auf die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zukunftsträchtige Antworten zu geben (nach Günter Altner).
Anders der Geist, der lebendig macht: Er symbolisiert das Sich-Öffnen für das bislang unverfügbar Scheinende, einen Weg der Befreiung, der internationalen Gerechtigkeit und Solidarität, den Weg einer globalen Friedens- und Nachhaltigkeitskultur – und die kleinen Pendants dieser großen Worte im täglichen Leben eines jeden und einer jeden von uns.
Wir alle wissen, dass wir diese neuen Wege einschlagen sollten, aber es ist „der Geist willig, aber das Fleisch schwach“. Mit dieser kognitiven Dissonanz können wir produktiv und von liebendem Handeln her gedacht umgehen lernen, wenn wir uns als von Gottes Energie bewegte Menschen begreifen und die damit verbundenen Möglichkeiten gemeinsam ergreifen – im Bewusstsein, scheitern zu können, aber in allem sich von der Liebe Gottes getragen wissend.
Als Geist-begabte Menschen sind wir trotz unserer Fragwürdigkeit und Ungewissheit im stets erneuerungsbedürftigen Schöpfungsvertrauen fähig, mit Lust und Freude unsere fundamentale Verantwortung für die naturgegebenen und von uns bedrohten Lebensgrundlagen achtsam und dankbar wahrzunehmen.
Hubert Meisinger
Veröffentlicht im Januar 2021
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Quellen und Literaturhinweise
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