Wurde das Universum von Gott erschaffen? Wie sich aus der Feinabstimmung der Naturkonstanten ein Argument für einen Schöpfer gewinnen lässt
Leitartikel von Matthias Schleiff
Am Anfang, so sagt man, schuf Gott Himmel und Erde. Dass bei diesem Anlass leider niemand dabei gewesen sei, beklagte schon der Physiker Steven Weinberg. Eine Wissenschaft, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Anfänge des Universums zu rekonstruieren, hat sich in den vergangenen hundert Jahren entwickelt: 1927 formulierte der belgische Jesuitenpriester Georges Lemaître eine Theorie des Urknalls. Ihre empirische Beglaubigung lieferten Arno Penzias und Robert Wilson von den „Bell Telephone Laboratories“ im Jahr 1964 mit der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Für eine Theorie, die die verschiedenen Puzzleteile zu einem konsistenten Bild des Kosmos zusammenfügte, erhielt James Peebles jüngst den Nobelpreis für Physik des Jahres 2019.
Die Ergebnisse der Kosmologie machen unser Staunen über den Kosmos indes in mancher Hinsicht nicht geringer, sondern nur noch größer. Diese Beobachtung birgt in sich den Ausgangspunkt für ein Argument, das sich als moderne Wiederauflage eines klassischen Gottesbeweises verstehen lässt. Das Merkmal, an dem es ansetzt, ist das Phänomen der Feinabstimmung. Gemeint ist damit eine Entdeckung, die auch das Erstaunen von Physikern und Kosmologen geweckt hat: Wir leben in einem Universum, in dem fundamentale kosmische Parameter außergewöhnlich präzise auf die Entwicklung von bewusstseinsfähigen Wesen zugeschnitten zu sein scheinen. Hätten einige Naturkonstanten und die kosmischen Anfangsbedingungen nur geringfügig andere Werte angenommen, hätte dies die biologische Entwicklung von Lebewesen wie uns unmöglich gemacht. Ein Wesen, das sich seiner selbst bewusst ist und nach seiner eigenen Herkunft fragen kann, hätte es dann nie gegeben.
Leitend für die folgenden Überlegungen ist die Idee, dass sich aus dieser Beobachtung ein Argument für einen Schöpfergott gewinnen lässt. Die folgenden Überlegungen werden die Grundzüge dieses Arguments Schritt für Schritt entwickeln.
Das Phänomen der Feinabstimmung
Die Beobachtungen, von denen das Feinabstimmungsargument ausgeht, sind in ihren Grundzügen wissenschaftlich unstrittig. Stephen Hawking etwa beschreibt sie so:
„Die Naturgesetze enthalten […] einige grundlegende Zahlen, etwa die Größe der elektrischen Ladung des Elektrons und das Massenverhältnis von Proton und Elektron. Wir können den Wert dieser Zahlen […] nicht aus der Theorie ableiten; wir müssen sie den Beobachtungsdaten entnehmen. […] Bemerkenswert ist, dass die Werte dieser Zahlen sehr fein darauf abgestimmt zu sein scheinen, dass sie die Entwicklung des Lebens ermöglichen. Wäre beispielsweise die elektrische Ladung des Elektrons nur ein wenig von ihrem tatsächlichen Wert abgewichen, wären die Sterne […] nicht in der Lage gewesen, Wasserstoff und Helium zu verbrennen […]. [Es] scheint […], als ließen die Zahlenwerte, die die Entwicklung intelligenten Lebens ermöglichen, wenig Spielraum.“ (Hawking 2005, 163).
Hawkings Überlegungen machen deutlich: Die Naturgesetze und die in ihnen enthaltenen Naturkonstanten liefern die grundlegenden Theorien unseres Kosmos. Auch über die Möglichkeit der Entwicklung von Leben wird schon in der Physik des Kosmos entschieden. Es bedarf einer präzise austarierten kosmischen Innenausstattung, um der Entwicklung von Leben im Universum Raum zu geben.
Illustrieren lässt sich dies etwa am Beispiel der Gravitation. Die Schwerkraft bestimmt das Leben im Universum – und man kann wohl sagen: jedes Leben (wenn es neben der Erde noch einen anderen Lebensraum im Universum gibt). Der Kosmologe Martin Rees von der Universität Cambridge hat einmal bemerkt: Wenn wir einmal in die Situation kämen, auf Außerirdische zu treffen und um ein Smalltalk-Thema verlegen wären, sei es sicher eine gute Idee, als erstes über die Schwerkraft zu sprechen.
Das eigentlich Erstaunliche an der Schwerkraft ist, wie schwach sie im Vergleich zu den anderen Kräften ist, die auf die Materie wirken. Man kann sich die Kräfteverhältnisse vor Augen führen, indem man sie mit der Elektromagnetischen Kraft vergleicht: Die Gravitation ist um den Faktor 1036 schwächer als die Elektromagnetische Kraft zwischen denselben Teilchen. Sie ist so schwach, dass bei ihrer Messung bis heute nennenswerte Unsicherheiten geblieben sind.
Die Schwerkraft ist also eine sehr, sehr schwache Kraft. (Und der Bereich, den Naturkräfte annehmen können, ist sehr, sehr groß.) Was passierte, wenn sie im Vergleich zur Elektromagnetischen Kraft nur ein wenig stärker wäre? Martin Rees hat dieses Modell einmal für ein Verhältnis von 1 zu 1030 durchgespielt: In einem solchen Universum bräuchten schon Lebewesen von der Größe von Insekten im Verhältnis zu ihrer Körpergröße so dicke Beine, wie sie auf der Erde nur die größten Landlebewesen haben. Und wie es auf der Erde kein Landlebewesen geben kann, das größer als ein Elefant oder ein Saurier ist, wäre in einer solchen Welt kein Landlebewesen größer als ein Insekt. Komplexere Lebensformen wären in einem solchen Universum daher nicht zu erwarten.
Zudem fehlte es in einem solchen Universum an Zeit, um eine Entwicklung von Leben zu ermöglichen. Ein typischer Stern hätte unter diesen physikalischen Bedingungen eine Lebensdauer von 10.000 Jahren. Danach wäre sein Brennmaterial ausgeschöpft. Wenn man bedenkt, dass die Evolution auf der Erde einige Milliarden Jahre in Anspruch genommen hat, wäre für die Entwicklung komplexer Lebensformen damit keine Zeit.
Das ist gemeint, wenn von Feinabstimmung die Rede ist: Die Schwerkraft hat in unserem Universum ein genau ausbalanciertes Maß. Wiche sie davon in nur in sehr, sehr, sehr geringem Maße ab, hätte dieser Umstand jede Entwicklung von Leben unmöglich gemacht. Das Maß der Feinabstimmung innerhalb des Spektrums, das die verschiedenen Kräfte einnehmen, schätzt Robin Collins vorsichtig auf 1:1036. Wenn die Gravitation um diesen Faktor zu- oder abnähme, wäre Leben im Universum unmöglich.
Ähnliche Phänomene der Feinabstimmung haben Physiker bei vielen physikalischen Größen ausmachen können: für das Verhältnis von Expansionsenergie und Dichte des Universums, für die Starke Kernkraft, für die Kosmologische Konstante, für das Maß an Entropie im jungen Universum, für die Differenz von Protonen- und Neutronenmasse und einige mehr. Stets nehmen diese Größen einen Wert an, der sehr präzise darauf abgestimmt zu sein scheint, die Entwicklung von Leben zu ermöglichen.
Für viele – auch für viele Physiker – ist das ein Grund zum Staunen.
Ein Schöpfungsargument
Mit unserem Staunen beginnt die Suche nach Erklärungen. Aber wie wird aus diesem Staunen ein Argument für die Existenz eines Schöpfers?
Argumente folgen bestimmten Mustern. Ein in der Naturwissenschaft gegenwärtig oft beanspruchtes Argumentationsmuster wird als „Schluss auf die beste Erklärung“ bezeichnet. Es folgt einem einfachen Muster: Es geht (1.) aus von einem überraschenden Phänomen, das der Erklärung bedarf. Es fordert (2.) dazu auf, sich auf die Suche nach Hypothesen zu begeben, die das Phänomen – vorausgesetzt, sie wären wahr – erklären würden. Es unterwirft diese verschiedenen Erklärungshypothesen (3.) einer vergleichenden Gegenüberstellung, um endlich (4.) darauf zu schließen, dass es rational ist, die beste Erklärung zu akzeptieren. [1]
Viele Argumente – sowohl im Alltag als auch in der Naturwissenschaft – basieren auf diesem Schlussmuster: vor Gericht, wenn Indizien für den wahrscheinlichen Tathergang gesammelt werden; in der Philologie, wenn aus heute vorliegenden Texten Rückschlüsse auf die Entstehungsgeschichte eines Textes gezogen werden; in der Physik, wenn Messdaten als Hinweis auf die Existenz eines Higgs-Bosons o. ä. gewertet werden (Teilchen, die sich wohlgemerkt nie direkt beobachten lassen).
Auch ein Schöpfungsargument, das vom Phänomen der Feinabstimmung auf die Existenz eines kosmischen Schöpfers schließt, lässt sich als Schluss auf die beste Erklärung verstehen. Formal sieht es dann kurz gefasst so aus:
(1) Die Feinabstimmung von Naturkonstanten bedarf der Erklärung. Sie ist ein überraschendes Phänomen.
(2) Die „Schöpfungshypothese“ erklärt das Phänomen der Feinabstimmung. Das heißt, wenn die Schöpfungshypothese wahr wäre, wäre das Phänomen der Feinabstimmung nicht mehr überraschend.
(3) Die Schöpfungshypothese erklärt das Phänomen der Feinabstimmung besser als die mit ihr konkurrierenden Erklärungshypothesen.
Also gilt (4): Es ist es rational gerechtfertigt, die Schöpfungshypothese zu akzeptieren.
Mit dieser Skizze ist der logische Rohbau eines Schöpfungsarguments formuliert. Als Argument überzeugt er für sich genommen natürlich noch nicht. Denn beweiskräftig ist ein Argument erst, wenn die Voraussetzungen, auf die es sich stützt, inhaltlich plausibel gemacht werden. Gehen wir den einzelnen Prämissen im Folgenden daher näher auf den Grund.
Prämisse (1): Bedarf Feinabstimmung einer Erklärung oder ist alles nur Zufall?
Prämisse (1) formuliert, dass es sich bei dem Phänomen der Feinabstimmung um etwas handelt, das nach einer Erklärung verlangt. Die Physiker, die auf dieses Phänomen gestoßen sind, teilen diese Voraussetzung. Lässt sie sich dennoch in Zweifel ziehen?
Die einfachste Art, dies zu tun, bestünde wohl in der Auskunft, dass es sich bei der Feinabstimmung kosmischer Parameter schlicht um einen Zufall handeln könne. Das Leben lehrt ja tatsächlich, dass auch große Zufälle gelegentlich eintreten. Wie jemandem, der im Lotto gewinnt oder einen Flugzeugabsturz überlebt, dürfte man der Menschheit dann attestieren, dass ihr mit der Feinabstimmung ein immenser Zufall zu ihren Gunsten widerfahren sei.
Doch was heißt hier überhaupt „Zufall“? Man hört zwar manchmal, etwas lasse sich „nur durch Zufall erklären“. Doch das ist eine uneigentliche Redeweise. Der Zufall erklärt nichts. Er ist die Behauptung, mit der Erklärung am Ende zu sein. Das mag in manchen Fällen legitim sein, aber im Falle der Feinabstimmung steckt dahinter angesichts des immensen Zufalls eher eine rationale Verweigerungshaltung. Und so wäre es wohl paradox, sich im Namen der Wissenschaft auf den Zufall zu berufen, statt die Suche nach einer Erklärung aufzunehmen. [2]
Prämisse (3): Alles eine Frage der Alternative: Schöpfung oder ein Multiversum?
Ziehen wir Prämisse (3) vor: Sie besagt, das Phänomen der Feinabstimmung werde durch die Schöpfungshypothese besser erklärt als durch alternative Hypothesen. Hier kommt die Phantasie der Physiker ins Spiel. Sie haben die Erklärungsbedürftigkeit der Feinabstimmung (Prämisse [1]) anerkannt, aber eine alternative Erklärungsmöglichkeit ins Spiel gebracht. Sie firmiert unter dem Namen „Multiversumshypothese“.
Glaubt man der Multiversumshypothese, so müssen wir uns den Urknall im Plural vorstellen. Es gebe nicht nur ein Universum, sondern viele (nach manchen Modellen sogar unendlich viele) voneinander unabhängige Paralleluniversen – jedes davon Ergebnis eines Urknalls, jedes mit anderen physikalischen Eigenschaften. Die allermeisten dieser Universen bieten auch in diesem Szenario der Entwicklung von Leben keine Chance. Unser Universum wäre eine Ausnahme, die mit der hohen Zahl an Universen wahrscheinlich gemacht wird.
Die Diskussion um die Hypothese des Multiversums ist im Detail verästelt und kompliziert. Dennoch lassen sich einige Bemerkungen anführen, die Übersicht schaffen und den überschießenden Hoffnungen der Physiker mit einigen kritischen Anfragen begegnen. Zunächst ist da die Frage, ob die Physiker mit der Multiversumshypothese überhaupt etwas gewonnen haben. Denn um eine empirische Hypothese handelt es sich (auch) bei der Multiversumshypothese natürlich nicht: Aus ganz prinzipiellen Gründen entziehen sich die behaupteten Paralleluniversen des Multiversums unserer Beobachtung. Einem Schöpfergott haben sie in dieser Hinsicht nichts voraus.
An anderer Stelle steht die Multiversumshypothese sogar schlechter da als ihre Mitbewerberin auf der Schöpfungsseite: Theorien, die ähnliche Vorhersagen machen, werden in der Wissenschaft oft an ihrer Einfachheit gemessen. Der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman hat dazu gesagt: „Man erkennt die Wahrheit [… einer Theorie] an ihrer Schönheit und Einfachheit“[3]. Gemeint ist mit diesem Kriterium etwa, dass eine Theorie, die ein Phänomen mit einem bisher unbekannten Teilchen erklären kann, einer anderen Theorie vorzuziehen ist, die dafür zwei Teilchen benötigt. Offenkundig schneidet in dieser Hinsicht die Vorstellung eines Schöpfergottes wieder besser ab als die Multiversumshypothese: Die (ihrerseits natürlich auch voraussetzungsreiche) Schöpfungshypothese ist explanatorisch immer noch einfacher als das verschwenderische Postulat einer Vielzahl von Universen.
Ein letzter Aspekt: Mit der Behauptung von zahllosen Universen ist die Multiversumshypothese so konzipiert, dass ihre Vorhersagen grundsätzlich mit (nahezu) jeder logisch denkbaren Beobachtung vereinbar sind. Manche Theoretiker des Multiversums treten mit der Formel auf: „Alles, was möglich ist, wird in einem unendlichen Multiversum (irgendwann irgendwo) geschehen.“ Nach Karl Popper ist es dagegen ein wichtiges Prinzip wissenschaftlicher Aussagen, dass sie sich dem Risiko empirischer Falsifikation aussetzen. Sie müssen Vorhersagen ermöglichen, an denen sie sich messen lassen – Vorhersagen, die eintreffen können, sich aber eben auch als falsch erweisen können. Wenn aber gilt, dass „alles (irgendwann irgendwo) geschehen wird, macht dies die Multiversumshypothese im Sinne Poppers zu einer Hypothese ohne wissenschaftlichen Gehalt. Die Schöpfungshypothese ist hier präziser und macht Aussagen, die an der Erfahrung Bestätigung und Widerspruch erfahren können.
Auch aus den Reihen der Physiker ist daher insgesamt mehr Skepsis als Hoffnung über die Aussichten der Idee des Multiversums zu vernehmen. Für den Münchener Astrophysiker Harald Lesch etwa ist sie „der verzweifelte Versuch, um Gott herum zu kommen“ [4].
Es ist also angebracht, die Multiversumshypothese – ebenso wie die Schöpfungshypothese – in einem Bereich jenseits der Physik anzusiedeln. Erinnern lassen müssen sich die Physiker dann gelegentlich daran, dass diese Einordung nicht bedeutet, dass sich die Abwägung verschiedener Erklärungsansätze in diesem Bereich deshalb in einem Bereich haltloser Spekulation abspielen müsste. Natürlich gelten auch jenseits des Bezirks direkter empirischer Überprüfbarkeit Rationalitätsstandards, an denen sich bessere und schlechtere Vermutungen voneinander unterscheiden lassen.
Prämisse (2): Was erklärt die Schöpfungshypothese?
Wir sind nun gleichsam mit dem Ausschlussverfahren auf die letzte Erklärungsmöglichkeit für das Phänomen der Feinabstimmung gestoßen: die Schöpfungshypothese.
Die Schöpfungshypothese besagt: Die Abstimmung kosmischer Bedingungen auf die Möglichkeiten von Leben ist Resultat einer zielgerichteten Schöpfung. Ein Schöpfer des Universums war in seinem kreativen ersten Akt bestimmt von einem Willen, in diesem Kosmos den Raum für Lebewesen zu schaffen, die sich die Frage nach ihrer Herkunft stellen können.
Es ist zuletzt zu klären, inwiefern – wie Prämisse (2) behauptet – die Schöpfungshypothese dazu beitragen kann, zu erklären, dass es ein Universum gibt, das der Entwicklung von Lebewesen Raum gibt. Warum ist die Annahme eines Schöpfers – also eines personalen Gottes – dazu eher geeignet als etwa die Überzeugung von einer „kosmischen Energie“ oder einem „ersten Prinzip“?
Was wir von dem, was hier die Erklärung leisten soll, voraussetzen müssen, ist ja immerhin, dass er der Schöpfung von Wesen, die dazu in der Lage sind, sich der Frage ihrer Herkunft bewusst zu werden, einen Wert beimisst. Warum das für ein nicht-personal gedachtes erstes Prinzip gelten sollte, ist schwer begreiflich zu machen. Dass dagegen ein Schöpfer, der selbst Person ist, dem Dasein von Personen einen Wert zumisst, ist durchaus plausibel. Mit seiner Schöpfung verfolgte dieser dann die Absicht, der Entfaltung anderer Personen Raum zu geben. Es sind dies Personen, die sich ihrer selbst bewusst werden können und denen ihre Herkunft zur Frage werden kann. Sie treten damit in eine Beziehung zu ihrem Schöpfer. Das Geschöpf wird so zu einem personalen Gegenüber des Schöpfers, der selbst Person ist.
Schlussbetrachtung: Der Gott der Feinabstimmung und der Gott des lebendigen Glaubens
Stoßen wir damit durch die moderne Kosmologie tatsächlich wieder auf die Gottesfrage? Wie verhält sich der „Feinabstimmer“ des Arguments zum Gott eines lebendigen Glaubens? Zwei in Spannung stehende Momente müssen hier zu ihrem Recht kommen.
Einerseits gilt es, Denk- und Sprechweisen des Glaubens von denen der Wissenschaft auseinanderzuhalten. Gewiss, auch in den Psalmen stimmt der Beter im Angesicht des Kosmos das Lob auf den Schöpfer an: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.“ (Psalm 19,2). Und doch bleibt das, was ein Feinabstimmungsargument für die Existenz eines Schöpfers entwickelt, natürlich etwas ganz anderes als der Gesang des Psalmbeters – bedurfte dieser doch keines Arguments, sich des Daseins Gottes zu vergewissern. Nicht die Existenz eines Schöpfers, sondern seine Güte und Verlässlichkeit wird bei ihm thematisch. Er redet nicht gegenständlich distanziert „über“ Gott, sondern personal engagiert, umfangen von Gottes Gegenwart. Wird ein Psalm in ein rationales Argument gewendet, so verändert dies den Charakter eines Gedankens grundlegend.
Andererseits gilt: Beides – Gotteslob und Argument – sind irreduzible Sprachformen, in denen sich die christliche Rede von Gott vollzieht. Daher treffen sie sich in wesentlichen Aussagen: Der Schöpfer des Arguments, so wie es hier entwickelt worden ist, ist eine Person. Im Kosmos verleiht er seinem Willen Ausdruck, Raum für das Dasein anderer Personen zu schaffen. Daher trifft auf die Welt zu, was auch der Gott der Genesis seiner Schöpfung zuspricht: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (Genesis 1,31). In dieses Urteil, das den Grundton biblischer Schöpfungsrede ausmacht, darf auf seine Weise auch das Feinabstimmungsargument einstimmen, wenn es sich der Aufgabe verschreibt, plausibel zu machen, dass sich in der Welt Gottes guter Schöpfungswille erweist.
Was also leistet dieses Argument? Die physikalische Tatsache der Feinabstimmung führt nicht zu einem Gottesbeweis (in dem unrabattierbaren Sinn, den sowohl das Wort „Gott“ als auch der Begriff „Beweis“ verlangen), wohl aber zu einem Argument für einen personalen Schöpfer des Universums. Als Argument bietet es uns rationale Orientierung, wie wir uns als Wesen, denen die Frage nach ihrer Herkunft aufgegeben ist, selbst verstehen können, und liefert uns vernünftige Gründe für einen Urheber des Universums, der mit seiner Schöpfung – weil er selbst Person ist – den Raum für ein personales Gegenüber geschaffen hat.
Das Feinabstimmungsargument lässt sich dabei in Inhalt und Form, in seinen Argumentationsmustern wie in seinen inhaltlichen Voraussetzungen auf die Voraussetzungen moderner Naturwissenschaft ein. Im besten Fall kann ein solches Argument dem Zweifler Anlass zum Zweifel an seinem Zweifel geben und dem Glaubenden, der mit beiden Beinen auf dem Grund des naturwissenschaftlichen Welterkennens steht, die Erfahrung der Welt als Gottes Schöpfung neu erschließen.
Matthias Schleiff
Publiziert im Januar 2020
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Anmerkungen
[1] Vgl. zu diesem Argumentmuster z. B. Lipton 1991.
[2] Ausgeklammert wird an dieser Stelle die Debatte um das sog. „Anthropische Prinzip“. Dieser Begriff hat im Zuge der Diskussion viele widersprüchliche Bedeutungen bekommen. Sachgemäß wäre darunter eine Form der epistemischen Täuschung zu verstehen, die auf einer zunächst sehr einfachen Überlegung beruht: Wir können über die Bedingungen unserer Existenz überhaupt nur deshalb erstaunt sein, weil es uns gibt. Aber warum sollten wir überhaupt erstaunt sein? Wir wissen ja schon, dass es uns gibt. Es ist, stärker noch, „logisch“, dass ein Universum, das wir beobachten, die Bedingungen dafür erfüllen muss, dass wir existieren. Für das, was (tauto-)logisch gilt, müssten keine Erklärungen angeführt werden. Fehlerhaft ist dieser Einwand schon in seiner Logik. Für eine eingehende Auseinandersetzung vgl. Bostrom 2002 und Schleiff 2019, 154–186.
[3] Feynman 2010, 209.
[4] So eine Antwort auf die Interviewfrage „Glauben Sie an die Viele-Welten-Theorie? Leben wir in einem Multiversum?“ (zit. nach Hägele 2005, 65).
Literatur
Barrow, John D. / Frank J. Tipler (1986): The Anthropic Cosmological Principle. Oxford: Oxford University Press.
Bostrom, Nick (2002): Anthropic bias. Observation selection effects in science and philosophy. New York: Routledge.
Feynman, Richard P. (2010): Vom Wesen physikalischer Gesetze. 11. Auflage, München / Zürich: Piper.
Hägele, Peter C. (2005): „Die moderne Kosmologie und die Feinabstimmung der Naturkonstanten auf Leben hin“, in: Glaube und Denken 18, 41–76.
Hawking, Stephen (2005): Eine kurze Geschichte der Zeit. 25. Auflage, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Leslie, John (1989): Universes. London: Routledge.
Lipton, Peter (1991): Inference to the Best Explanation. London: Routledge.
Manson, Neil A. (Hg.) (2003): God and Design. The Teleological Argument and Modern Science. London: Routledge.
Rees, Martin J. (2000): Just six numbers. The deep forces that shape the universe. London: Weidenfeld & Nicolson.
Schleiff, Matthias (2019): Schöpfung, Zufall oder viele Universen? Ein teleologisches Argument aus der Feinabstimmung der Naturkonstanten. Tübingen: Mohr Siebeck.
Bildnachweis
- Hubble Space Telescope: Pillars of Creation © NASA
- Hubble Captures A "Five-Star" Rated Gravitational Lens © NASA, ESA, K. Sharon (Tel Aviv University) and E. Ofek (Caltech)
- Fresko: Der Schöpfer des Sternenhimmels, Kirche Vittskövle, Skåne © Wikimedia Commons
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Gibt es einen Schöpfer von allem?
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Matthias Schleiff argumentiert, dass die Feinabstimmung der Naturkonstanten dem Zweifler Anlass zum Zweifel an seinem Zweifel geben kann und dem Glaubenden, der mit beiden Beinen auf dem Grund des naturwissenschaftlichen Welterkennens steht, die Erfahrung der Welt als Gottes Schöpfung neu erschließt. Stimmen Sie dem zu oder was Ihre Meinung zu dieser Frage?
Kommentare (4)-
Antworten
Toll und schlüssig geschrieben. Es gefällt mir sehr als ev. Theologe. Ich stimme dem zu. Das Argument mit der Feinabstimmung ist ein sehr gutes, was die Evolutionslehre nicht im Blick haben will, wollen ja auch nichts von der Zielgerichtetheit wissen. Erklären ja alles mit Zufall. Danke vielmals für den Artikel hier. Viele Grüße. Bin gespannt auf weitere Veröffentlichungen. Habe mir Prozeßtheologie und Evolutionstheologie besorgt. Auch toll. Großartig.
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Gemeinsam ist dem biblischen Schöpfung-Mythos und den kosmologischen Theorien (Urknall) des 20. Jahrhunderts die Vorstellung einer zusammenhängenden Welt als Entität. Doch neuere physikalische Erkenntnisse, die mit paradoxen Hilfs-Konstruktionen arbeiten wie etwa den "Multiversen" lassen den Schluss zu, dass es gar keine zusammenhängend Kohärenz gibt. Gibt es die eine Welt oder können wir erkenntnistheoretisch nur Dinge, nichts als Dinge, erfassen?
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Besonders gut dazu: Bernard Haisch:
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Hallo Herr Schleiff,
Frank Philipps
am 10.01.2020Ulrich Maßner
am 10.01.2020Erich Schertler
am 10.01.2020"Die verborgene Intelligenz im Universum" und "Warum Gott nicht würfelt. Geist Kosmos und Physik."
Crotona Verlag.
Der bekannte Astrophysiker entwickelt eine sehr interessante "Gottestheorie" und hat meiner Meinung nach eine Antwort auf die Frage WARUM GIBT ES DIE SCHÖPFUNG gefunden.
"Der Sinn des Lebens ist Erfahrung; Gott möchte das Leben durch uns erfahren..."
Martin Neukamm
am 08.02.2020vielen Dank für Ihren interessanten Artikel. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob Ihre Argumentation schlüssig ist. Zum Beispiel kann ein übernatürlicher Schöpfer ein Fine-tuning der Naturkonstanten nicht im üblichen Sinn "erklären". Der gegenteilige Befund wäre nämlich erst recht ein Argument für ein göttliches Wunder. Zudem spricht der überwiegend lebensfeindliche Kosmos eher gegen eine Feinabstimmung lokaler astronomischer Parameter. Sie hätten eher ein Argument, wäre der Kosmos nicht mit unwirtlichen Welten durchsetzt, sondern so strukturiert, wie sich das viele im Mittelalter vorstellten: die Erde als Zentrum der Welt, ein paar Sterne, die als "Löcher in der Himmelskuppel" einen Blick in die "Übernatur" gestatten, die Sonne, ein paar Planeten - und das war's.
Natürlich kann man sich darüber streiten, inwieweit die globalen physikalischen Parameter feinabgestimmt sind. Der US-amerikanische Physiker und Astronom Victor Stenger hat untersucht, was passieren würde, wenn man gleichzeitig Variationen der Naturkonstanten um den Faktor 100.000 über und unter den heutigen Werten zuließe. Ergebnis: In über der Hälfte der simulierten Universen wäre die Existenz langlebiger Sterne (über eine Milliarde Jahre) möglich, die eine Evolution anstoßen könnten. Ob man das als "Feinabstimmung" bezeichnen kann, wage ich zu bezweifeln.
Ich habe in einem Artikel weitere Argumente gegen das Argument der Feinabstimmung vorgebracht. Zwar trifft der Essay nicht zu 100% Ihre Argumentation, weil er sich gegen die Argumentation eines Evangelikalen richtet. Dennoch sollten aus meiner Sicht die Wesentlichen Einwände abgedeckt sein:
http://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2015/widenmeyer-welt-ohne-gott-kritik-naturalismus-teil-3.html
Beste Grüße, Martin Neukamm