Wissenschaftstheorie
Wie funktioniert die Wissenschaft? Im 20.Jahrhundert wurde dazu eine Reihe von Theorien entwickelt, die teilweise aufeinander aufbauen, teilweise auch konträre Positionen vertreten. Die älteste bekannte Theorie ist der Positivismus, nachdem die Erkenntnis auf die "positiven Befunde" in den Naturwissenschaften beschränkt werden muss. Weitergehende Annahmen sind überflüssig. Gott bleibt dabei außen vor, weil er sich nicht in den Daten finden lässt. Wer kritisch über die Rolle der Wissenschaft reflektiert, bleibt dabei natürlich nicht stehn. Bekannt ist die neuere These, dass die Wissenschaft Hypothesen aufstellt, die falsifiziert werden können und sich daher zwar nicht als wahr, wohl aber als falsch erweisen können. Diese Idee geht auf Karl Popper zurück, der aber gleichzeitig davon ausging, dass den wissenschaftlichen Theorien zunehmende Wahrheitsähnlichkeit eignet, ein Terminus, der heute noch von vielen wissenschaftlichen Realisten vertreten wird, sonst aber umstritten ist. Ein Gegenkonzept dazu ist die Annahme von sich abwechselnden Paradigmen, die auf Thomas Kuhn zurückgeht. Sein Beispiel ist der Wechsel von der newtonschen zur einsteinschen Physik, der so fundamental sei, dass hier von „inkommensurablen“, d.h. unvereinbaren, Sprachwelten zu reden sei. Realisten halten dagegen, die newtonsche Physik sei immer noch als Grenzfall in der einsteinschen Physik enthalten, auch hier gebe es also Kontinuität. Imre Lakatos' Rede von Forschungsprogrammen versucht, die Erkenntnisse von Popper und Kuhn zusammenzubringen.
Ein im deutsprachigen Raum weniger bekannter Wissenschaftsphilosoph, der aber u.a. Kuhn beeinflusst hat, ist Michael Polanyi. Er geht davon aus, dass auch in der Wissenschaft stillschweigendes Urteilsvermögen vermittelt wird, ja dass wir überhaupt mehr wissen können, als wir sagen können. Auch Wissenschaft sei demnach im Grunde eine Art Glaube, der nach Einsicht sucht.
Andreas Losch
Leitartikel zum Thema
Michael Blume, Islam und Wissenschaft (Html)
Es ist bis ins kulturelle Allgemeinwissen vorgedrungen: Die islamische Welt war jahrhundertelang der europäischen Geisteswelt wissenschaftlich, kulturell und auch technologisch weit überlegen. Europäer staunten über die großen Städte, Krankenhäuser und Bibliotheken etwa in Baghdad und Cordoba. Muslimische Kaufleute, Gelehrte und Pilger trugen Güter und Wissen aus ganz Eurasien und Afrika zusammen. Jüdische, christliche sowie muslimische Gelehrte retteten unter dem Schirm der islamischen Gesetzgebung durch Übersetzungs- und Austauscharbeiten die Werke und Ideen antiker Denker und Forscher. Noch zu Zeiten der Kreuzzüge erwiesen sich die „Franken“ häufiger als grobe Barbaren, die auf eine schließlich auch militärisch überlegene, islamische Zivilisation trafen. Doch was ist dann im Verhältnis von Islam und Wissenschaft geschehen?
Dominique Lambert, Wurde die Urknalltheorie aus Glauben geboren? Lemaîtres Uratom-Hypothese (Html)
Es war ein Physiker und katholischer Priester, Vater Georges Lemaître, der die heutzutage weithin akzeptierte Idee entwickelte, dass das Universum einen Anfang hatte, von ihren Kritikern “Urknalltheorie“ genannt. Was inspirierte ihn, diese Annahmen zu machen? Trafen sich Wissenschaft und Glaube in seiner wissenschaftlichen Theorie, wie unterschied er zwischen den beiden?
Pablo de Felipe, Glaubte man im Mittelalter, die Erde sei flach? Mythos und Wirklichkeit (Html)
Heutzutage betrachten die meisten Menschen die Annahme einer flachen Erde als ultimativen Nonsens und als wissenschaftliche „Ketzerei“. Anhänger einer flachen Erde genannt zu werden ist die schlimmste aller ‚wissenschaftlichen‘ Beleidigungen. Mehr als ein Jahrhundert wurde nun gerade dies einem ganzen Jahrtausend europäischer Geschichte vorgeworfen, welches als Bastion der christlichen Anhängerschaft des Glaubens an eine flache Erde angesehen wurde. In einem „finsteren Zeitalter“, so die Anklage, soll die Christenheit Wissen unterdrückt haben. Ist die Anklage aber begründet?
Hans Dieter Mutschler, Emergenz (Html)
Die Emergenzlehren entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang mit folgender Problematik: Man hatte damals mechanistische Erklärungen zur Verfügung, die im Bereich des Anorganischen glänzend funktionierten, aber schlecht auf das Lebendige anwendbar waren. Andererseits gab es die metaphysischen Entelechielehren des Neovitalismus, die die Emergentisten nicht akzeptieren konnten, da sie eine materialistisch-naturalistische Position vertraten. Sie suchten also einen ‚dritten Weg’.
Robert John Russell: Ian Barbours Methodologie in Wissenschaft und Religion (Html)
Die Theology & Science Community, die vor einem halben Jahrhundert begründet worden ist, blüht und gedeiht. Von Anfang an lag dabei die Methodenfrage im Zentrum: wie kann man diese so verschiedenen Gebiete in Beziehung setzen? Dies soll im Folgenden unter Berücksichtigung von Fragen der Erkenntnistheorie, Fragen der Natur wissenschaftlicher und religiöser Sprache und Fragen der Theoriekonstruktion, Theoriewahl und Theorieverteidigung zu beantworten versucht werden.
Jürgen Hübner: Die Gedanken Gottes denken? Zum naturphilosophischen Ansatz Johannes Keplers (Html)
Was Gott sich gedacht haben mag, als er die Welt schuf, fragen moderneWissenschaftler eher kritisch bis hin zur Ironie gegenüber Religion überhaupt. Für Johannes Kepler prägte die Geometrie die Gedanken Gottes. Dahinter steht eine lange philosophische Tradition. Kann der Mathematik aber wirklich eine solche Qualität zugesprochen werden?
Albert Einstein (1879–1955) hat mit seiner speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie die Welt verändert. Bekannt ist auch, dass er sich als religiöser Mensch verstand. Und Einstein ist – wie kein zweiter Wissenschaftler – auch zu einer Art Star der Popularkultur des 20. Jh. geworden, und das schon zu seinen Lebzeiten. Angesichts dieser Lage ist es nicht leicht, ein Urteil zu finden, wie sich Naturwissenschaft und Religion bei Einstein wechselseitig befruchtet haben. Noch Ende des 20. Jh. herrschten hier Vorurteile.
Ulrich Pontes, Durchgeknallte Teilchenphysik? (Html)
"Neues Rätsel um das Gottes-Teilchen", "Hoffnung auf das Higgs": In den vergangenen Wochen hat sie wieder einmal ein paar kleinere Schlagzeilen gemacht, die Teilchenphysik. An den Grenzen unseres Wissens über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, geht es derzeit jedoch bestenfalls noch zäh voran. Alexander Unzicker, Autor des Buches „Vom Urknall zum Durchknall“, sieht die Physik deshalb in einer Sackgasse. Eine kritische Würdigung.
Das Bild des modernen Menschen vom Inquisitionsprozess der römischen Kurie gegen den italienischen Naturforscher Galileo Galilei ist schnell erzählt: Obwohl Galilei Beweise für die heliozentrische Lehre mit der Sonne in der Mitte und den sie umkreisenden Planeten vorbringen konnte, wurde er von einer bornierten Kirche wegen Copernicanismus angeklagt und verurteilt.
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Am 12. Februar 1809 wurde Charles Darwin geboren. Im gleichen Jahr publizierte Jean-Baptiste de Lamarck die erste echte Evolutionstheorie, in der er die Vererbung erworbener Eigenschaften postulierte (Lamarckismus). 1859 erschien das Hauptwerk Charles Darwins „On the Origin of Species…“, in dem ihm die Zusammenfassung aller damals ersichtlichen Argumente für die Abstammungslehre gelang, mithin also auch für ein langes Erdalter, eine lange Naturgeschichte der Lebenswelt, für die Verwandtschaft aller Lebewesen und ihren gemeinsamen Ursprung. Darwins kausale Erklärung der Evolution, die Theorie der natürlichen Zuchtwahl (Selektionstheorie), erläuterte die Entstehung von Zweckmäßigkeit in der Natur durch Naturprozesse. Heute beschreibt die kausale Evolutionstheorie das komplizierte Wechselspiel von Genetik, Ontogenese (individuelle Entwicklung) und Ökologie in immer besserer Auflösung. Ihr Theoriegefüge ist eingebettet in die Standardtheorien der Kosmologie, in die Geologie, in die Biochemie, in biochemische Hypothesen zum Übergang von unbelebter Materie zum Leben usw. Eine indirekte Konsequenz der modernen Evolutionstheorie ist, dass sie sich immer weiter von der Alltagserfahrung und dem Vorstellungsvermögen des Laien entfernt.
(exklusiv auf theologie-naturwissenschaften.de)
Brigitte Falkenburg, Mechanistische Erklärung und ihre Grenzen (pdf)
Die Erfolgsgeschichte der neuzeitlichen Naturwissenschaften beruht auf der experimentellen Methode und den mathematischen Modellen der Physik Galileis und Newtons. Eng verbunden damit war die Begründung des mechanistischen Weltbilds, in dessen Rahmen man annahm, dass alle materiellen Körper aus mechanischen Korpuskeln oder Atomen bestehen und den Gesetzen der klassischen Mechanik gehorchen. Das mechanistische Denken dominierte die Naturerkenntnis bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, doch mit dem Beginn der modernen Atomphysik stellte sich heraus, dass ein mechanistisches Verständnis der Natur im Sinne der klassischen Physik dem Aufbau der Materie und den Wechselwirkungen der subatomaren Teilchen nicht gerecht wird.
(Aus: Frank Vogelsang et. al., Was die Welt im Innersten zusammenhält. Das Konzept der Materie im interdisziplinären Vergleich, Bonn 2017)
Andreas Losch, Abwärts gerichtete Kausalität – wirken so Geist und Materie zusammen?
Karl Popper und John Eccles haben vorgeschlagen, dass Geist und Materie durch eine abwärts gerichtete Kausalität miteinander wechselwirken können. Was ist von dieser Idee zu halten? Nancey Murphy hält fest, dass nichts aus Eccles‘ Projekt hervorgegangen sei, auch wenn sie abwärts gerichtete Kausalität selbst propagiert. Kann man das Konzept jedoch nicht vielleicht auch ohne die Probleme vertreten, die mit Eccles‘ Ansatz verbundenen sind? Der Aufsatz möchte die jeweiligen Anteile von Popper und Eccles an der gemeinsamen Argumentation analysieren, diese mit jüngeren Konzeptionen der abwärts gerichteten Kausalität vergleichen und eine vorsichtige Bewertung versuchen. Einsichten der Debatte um Göttliches Handeln werden die Schlussfolgerung befördern, weil hier mit dem Einfluss des göttlichen Geistes auf die geschaffene Materie ein ähnliches Szenario vorgestellt werden kann.
(Aus: Frank Vogelsang et. al., Was die Welt im Innersten zusammenhält. Das Konzept der Materie im interdisziplinären Vergleich, Bonn 2017)
Andreas Losch, Einblicke in die Bedeutung Michael Polanyis im Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften
Während auf Deutsch mit „Implizites Wissen“ ein einziges Werk Polanyis vollständig erschienen ist, und Polanyi daran anschließend hauptsächlich lerntheoretisch rezipiert wurde, haben seine Arbeiten in Originalsprache von Anfang an reiche Wirkung in dem Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie entfaltet. Um das deutsche Rezeptionsdefizit zu kompensieren, wird in dem Artikel zunächst eine biographische Skizze geboten, bevor eine Erläuterung seiner wissenschaftsphilosophischen Kerngedanken im Kontext seines Gesamtwerkes erfolgt.
(exklusiv auf theologie-naturwissenschaften.de)
Andreas Losch, Peacockes Hierarchie der Wissenschaften
In Seinem Aufsatz „A Map of Scientific Knowledge: Genetics, Evolution and Theology” setzt Arthur Peacocke sich mit dem in der Biologie oft auftretenden Reduktionismus (z.B. in Dawkins „Egoistischem Gen“) auseinander und entwickelt als Gegenmodell eine hierarchische Ordnung der Wissenschaften, in der jeder Ebene ihr eigener Wert zukommt. So findet auch die Theologie ihren Platz.
(exklusiv auf theologie-naturwissenschaften.de)